Praxiswissen

Vorschläge für Art. 8 StPO

Kenad Melunovic – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Mit den seit 1. Januar 2011 in Kraft getretenen Art. 8 Abs. 1 und 4 StPO hat der Gesetzgeber eine einheitliche gesetzliche Grundlage für eine Einstellung des Strafverfahrens geschaffen (vgl. statt vieler Wohlers in: Donatsch /Hansjakob / Lieber, Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung [StPO], 2. Auflage, Zürich/Basel/Genf 2014, N 11 zu Art. 8, S. 69 f.; Schmid, Handbuch des schweizerischen Strafprozessrechts, 2. Auflage, Zürich/St. Gallen 2013, N 202 Fn. 330).

Art. 8 Abs. 1 und 4 StPO verdrängen als jüngere Rechtsfolgebestimmungen die älteren wie etwa diejenige von Art. 187 Abs. 3 StGB, soweit diese nach Anklageerhebung lediglich den Umgang der Strafe, aber weiterhin einen Schuldspruch vorsehen (vgl. zum Grundsatz «lex posterior derogat lex priori» etwa: Ernst A. Kramer, Juristische Methodenlehre, 5. Auflage, Bern 2016, S. 121 ff.; Häfelin / Haller / Uhlmann, Allgemeines Verwaltungsrecht, 7. Auflage, Zürich/St. Gallen 2016, Rz.183 ff., S. 42; Rz. 265, S. 61, je mit Hinweisen).

Die Einstellung des Strafverfahrens entspricht auch dem Willen des Gesetzgebers. Art. 8 StPO sieht wörtlich vor, dass sowohl die Staatsanwaltschaft als auch Gerichte laufende Strafverfahren einstellen, wenn das Bundesrecht dies vorsieht, namentlich wenn die Voraussetzungen von Art. 52, 53 und 54 StGB erfüllt sind (vgl. insb. Wohlers und Schmid, a.a.O.). Eine Einschränkung des Geltungsbereichs von Art. 8 StPO, wonach Gerichte laufende Strafverfahren nur einstellen dürfen, wenn sie als Beschwerdeinstanz entscheiden, die im Vorverfahren wegen einer Verfahrenseinstellung oder deren Ablehnung angerufen werden, in den übrigen Fällen aber über die Anklage entscheiden und im Falle eines Schuldspruchs von einer Bestrafung absehen müssen (vgl. BGE 139 IV 222 ff., E. 3.4), führt zu nicht nachvollziehbaren Ergebnissen. Wenn das Gericht eine beschuldigte Person verurteilt, jedoch von einer Bestrafung absieht, auferlegt es der beschuldigten Person die Verfahrenskosten und gewährt ihr keine Anwaltsentschädigung (Art. 426 Abs. 1 StPO und Art. 429 Abs. 1 StPO). Wird ein Verfahren jedoch eingestellt, werden die Verfahrenskosten auf die Staatskasse genommen und die beschuldigte Person hat namentlich Anspruch auf eine Anwaltsentschädigung. Die restriktive Auslegung von Art. 8 StPO durch das Bundesgericht sieht vor, dass der Sachrichter ein laufendes Strafverfahren nicht einstellt.

Je nachdem, ob die Staatsanwaltschaft die Einstellungsgründe erkennt, wird die beschuldigte Person auf Kosten der Staatskasse vom Vorwurf befreit oder sie muss einen stigmatisierenden strafrechtlichen Schuldspruch erdulden und die Verfahrens- und Anwaltskosten nur deshalb bezahlen, weil das Verfahren nicht bereits im Vorverfahren durch die Staatsanwaltschaft eingestellt wurde, sondern erst durch das Gericht. Eine solche Zweiteilung erscheint widersprüchlich und müsste im Rahmen der laufenden Revisionsbesprechungen geändert werden.

Die Autoren schlagen die folgende Präzisierung von Art. 8 Abs. 1 und 4 StPO vor: 1. Staatsanwaltschaft und Gerichte sehen von der Strafverfolgung ab, wenn das Bundesrecht es vorsieht, namentlich unter den Voraussetzungen der Artikel 52, 53 und 54 des Strafgesetzbuches (StGB) oder wenn es bestimmt, dass von der Strafverfolgung, Überweisung ans Gericht oder der Strafe Umgang genommen werden kann. […] 4. Die Staatsanwaltschaft verfügt in diesen Fällen, dass kein Verfahren eröffnet oder das laufende Verfahren eingestellt wird. Nach Anklageerhebung verfügt das Gericht die Einstellung des Verfahrens.