Praxiswissen

Versöhnung statt Vergeltung

Ueli Vogel-Etienne – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

1978 ermordeten die «Roten Brigaden» den italienischen Ministerpräsidenten Aldo Moro. Die Polizei fand seine Leiche im Kofferraum eines Autos. Auch andere Terrorakte gingen in den 70er-Jahren auf das Konto der Roten Brigaden. Dreissig Jahre später trafen Angehörige von Opfern sowie ehemalige Mitglieder der Roten Brigaden zu einer siebenjährigen Strafmediation zusammen. Die Medianten befassten sich mit der Frage, welche Rolle Vergeltung, Mediation und Strafe für die Wiederherstellung sozialer Ordnung und Frieden spielen.

Strafmediation bei Gewaltdelikten – geht denn das? Nein, fand das schweizerische Parlament und kippte eine Mediationsbestimmung aus dem Entwurf der Strafprozessordnung, die 2011 in Kraft trat. Viele Strafjuristen gehen davon aus, dass eine Mediation nur bei Antragsdelikten in Frage komme, wo Reue oder Wiedergutmachung des Täters mit einem Rückzug des Strafantrages belohnt werden könne. Doch diese Vorstellung greift zu kurz. Ein Betrugsopfer zum Beispiel interessiert sich in der Regel weit mehr für den Ersatz seines Schadens als für die Bestrafung des Täters. Eine Strafmediation kann deshalb auch neben einem Strafverfahren, das von Amtes wegen geführt werden muss, sinnvoll sein.

Immerhin hat die Strafmediation in die Jugendstrafprozessordung Eingang gefunden, auch für Offizialdelikte. Gemäss Artikel 17 JStPO können die Strafbehörden ein Strafverfahren sistieren und «eine auf dem Gebiet der Mediation geeignete Organisation oder Person» mit einem Mediationsverfahren beauftragen. Leider verlangt das Gesetz keinen unabhängigen und neutralen Mediator. Eine besonders unglückliche Lösung hat der Kanton Zürich geschaffen: Gemäss § 156 GOG ZH führt eine Abteilung der Justizdirektion die Mediationsverfahren nach Art. 17 JStPO durch. Nur «ausnahmsweise » kann die Jugendanwaltschaft oder das Gericht eine andere geeignete Organisation oder Person mit einer Mediation beauftragen. Solche Ausnahmen kommen aber in der Praxis nicht vor. Doch wenn der Staat in eigener Sache mediert, fehlt ihm ganz offensichtlich eine vertrauensbildende Unabhängigkeit.

Würden geeignete freischaffende Mediatorinnen und Mediatoren beigezogen, könnten Mediationskompetenzen (Feldkompetenzen) berücksichtigt werden, die den Besonderheiten des Straffalles oder des jugendlichen Täters Rechnung tragen. Die Zürcher Lösung, die bereits seit 15 Jahren besteht, hat dazu geführt, dass kaum freiberufliche Strafmediatoren zur Verfügung stehen. Ausgewiesene Mediatoren haben kein Interesse, sich in Strafmediation aus- und weiterzubilden, da gar keine Strafmediationsfälle vergeben werden. Als Folge existieren – mangels Nachfrage – seit Jahren auch keinerlei Aus- und Weiterbildungsangebote in der Strafmediation. Der Gedanke einer Restorative Justice bleibt weiterhin aussen vor.