Praxiswissen

Das interne Gehör

Markus Steiner – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Wir Strafverteidiger rügen oft und gerne – sehr oft zu Recht –, unseren Mandanten werde das rechtliche Gehör nicht gesetzeskonform gewährt. Wir fordern von den Strafbehörden ein, dass sie unsere Mandanten nicht als Objekt, sondern als Menschen wahrnehmen und behandeln.

Wie steht es jedoch mit uns selbst? Nehmen wir unsere Mandanten als Menschen wahr und behandeln sie entsprechend? Gewähren wir ihnen das interne Gehör?

Das interne Gehör beinhaltet für mich, einem Menschen zuzuhören, ihn gesamthaft wahrzunehmen, dabei seine Stärken und Schwächen, seine Hoffnungen und Sorgen sowie sein Wissen zum Sachverhalt zu erkunden, intuitiv das Nichtausgesprochene zu erspüren und intern mit ihm in kritischer Würdigung der Prozesssituation um die für ihn gesamthaft optimalste Vorgehensweise zu ringen. Das interne Gehör stellt die zielorientierte, ehrliche und menschliche Auseinandersetzung mit dem Gegenüber dar.

Ein eigentliches «Patentrezept », wie das interne Gehör zu gewähren ist, gibt es meines Erachtens nicht. Es gilt im Einzelfall zu prüfen, wie am besten vorzugehen ist, ausgehend von der Funktion der Strafverteidigung als solcher. Dabei habe ich im Laufe meiner Tätigkeit als Strafverteidiger gelernt, mir gerade zu Beginn eines Mandats genügend Zeit zu nehmen, um mich mit meinen Mandanten vertieft auseinanderzusetzen.

Es geht einerseits um das gegenseitige Kennenlernen, andererseits um die sachliche Aufarbeitung der Situation. Im Laufe des Gesprächs spreche ich bewusst auch diejenigen Themen an, die vermeintliche Schwachstellen innerhalb der Position der Mandantschaft bilden und ihr oftmals unangenehm sind. Dies braucht immer wieder Überwindung, ist anstrengend und raubt viel an eigener Energie. Ich erlebe es jedoch oftmals, dass es die Mandanten letztlich schätzen, in einer durch das Berufsgeheimnis geschützten und wohlwollenden Atmosphäre über die strafrechtliche Problematik und deren Auswirkungen auf ihre gesamte Lebenssituation sprechen zu können. Es gelingt dadurch regelmässig, die Sachverhaltskenntnisse der Mandanten im Detail zu erfahren. Es lässt sich herausfinden, was die Mandanten antreibt, was und wie sie denken und empfinden, was ihnen im Verfahren zugetraut werden kann etc.

Das interne Gehör trägt dazu bei, einander besser zu verstehen, das notwendige Vertrauensverhältnis aufzubauen oder gleich zu Beginn festzustellen, dass eine erfolgreiche Zusammenarbeit kaum funktionieren wird. Es bildet neben der akribischen Analyse der Prozesssituation die Grundlage, die Mandantschaft bestmöglich zu beraten. Es stellt ein wesentliches Element für eine erfolgreiche und konstruktive Zusammenarbeit dar.

Im Verlaufe meiner Tätigkeit habe ich ferner feststellen können, dass die Wahrnehmung des eigenen Mandanten als Subjekt oftmals dazu beitragen kann, dass die Strafbehörden dasselbe tun. Insoweit erweist sich das interne Gehör in mehrfacher Hinsicht als zentral für eine erfolgreiche Verteidigung. Es sollte Bestandteil eines jeden Strafprozesses bilden.