Praxiswissen

Knallharter Verteidigungskampf versus Kuschelverteidigung

Lukas Bürge – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Es gibt nicht die Verteidigungsstrategie. Die Wahl der Verteidigungsstrategie ist abhängig von einer Vielzahl von Faktoren: namentlich von der Persönlichkeit und den Ressourcen der beschuldigten Person (Intelligenz, Temperament, private und berufliche Situation usw.), von der Aktenlage und damit der Einschätzung von Risiken und Chancen, von der Zielsetzung (beispielsweise Freispruch, Bewährungsstrafe, abgekürztes Verfahren), nicht zuletzt aber auch von den zuständigen Personen bei den Strafbehörden. Und selbstverständlich ist die Verteidigungsstrategie mit der Klientschaft abzusprechen. Grob lassen sich die Verteidigungsstrategien in offensive – zurückhaltende oder aggressive – und defensive – zurückhaltende oder kooperative – unterteilen.

Wenn die Beweislage infolge fehlender oder unvollständiger Akteneinsicht nicht hinreichend beurteilt werden kann, ist es äusserst schwierig, eine Verteidigungsstrategie zu bestimmen. Gerade zu Beginn eines Strafverfahrens kann den Beschuldigten diesfalls meist nur die Verweigerung der Aussage empfohlen werden. Selten dürfte mit einem sofortigen Geständnis eine drohende Untersuchungshaft – und damit einhergehend negative Folgen, insbesondere im privaten und beruflichen Bereich – verhindert werden können, wird doch die Staatsanwaltschaft das Geständnis ungestört überprüfen wollen. Ebenso wenig vermag die mit einer Erstaussage verbundene Chance auf einen späteren Geständnisbonus das Risiko, sich unnötig zu belasten, aufzuwiegen.

Der Wahl der Verteidigungsstrategie sind Grenzen gesetzt. So bestimmt Art. 128 StPO, dass die Verteidigung zwar allein den Interessen der beschuldigten Person verpflichtet ist, jedoch in den Schranken von Gesetz und Standesregeln. Doch haben sich nicht nur die Verteidigung, sondern erst recht auch die Strafbehörden ans Gesetz zu halten.

Gerade bei der Staatsanwaltschaft fühlen sich leider nicht alle gleichermassen dem Legalitätsprinzip verpflichtet. Versuche, die Beschuldigtenrechte zu umgehen, sind zahlreich zu beobachten: Führung getrennter Verfahren, Nichtgewährung von Akteneinsicht, Verweigerung der Teilnahme an Beweiserhebungen, Befragungen von Beschuldigten ohne Rechtsbeistand bei notwendiger Verteidigung beziehungsweise Nichtbestellung einer notwendigen Verteidigung bei gegebenen Voraussetzungen, Zwangsmassnahmen ohne entsprechenden Tatverdacht, Hinauszögern der Eröffnung einer Untersuchung usw.

Verteidigungstaktik hin oder her, namentlich mit Blick auf einen allfälligen späteren Verteidigungswechsel und auf die Gefahr, sich einen Kunstfehler vorwerfen lassen zu müssen, sind Verletzungen von Beschuldigtenrechten seitens der Strafbehörden ungeachtet der gewählten Verteidigungsstrategie in der Regel konsequent zu monieren, insbesondere mit Unverwertbarkeitsanträgen und gegebenenfalls mit Beschwerden.