Praxiswissen

Überlastung der Strafjustiz – Beschuldigtenrechte in Gefahr

Thomas Sprenger – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Das Thema «Überlastung der Strafjustiz» ist seit Mitte 2023 allgegenwärtig. In den Medien wird berichtet, dass unsere Strafjustiz kurz vor dem Kollaps stehe. Als eine der Hauptursachen dieser Fehlentwicklung werden vielerorts die Beschuldigtenrechte angeführt. Es wird suggeriert, die Überlastung der Justiz liesse sich durch einen Abbau der Beschuldigtenrechte rückgängig machen. Diese These trifft nicht zu. Sie bedarf der Korrektur, bevor sie salonfähig wird.

Zunächst ist daran zu erinnern, dass Beschuldigtenrechte kein Luxusgut sind, sondern die Voraussetzung eines fairen Verfahrens. Im Interesse des «fair trial» hielt es der Gesetzgeber bei der Revision der StPO denn auch für notwendig, die Übermacht der Staatsanwaltschaft durch «geeignete Gegengewichte» zu kompensieren (BBl 2006 1105, 1257). Wer versucht, diese Gegengewichte zu entfernen, nimmt in Kauf, dass Strafverfahren inskünftig unfair geführt werden. Dies ist nicht erstrebenswert. Es ist auch nicht erforderlich. Die Beschuldigtenrechte sind nicht die Hauptursache für die Überlastung der Justiz.

Dass die Straforgane an ihre Kapazitätsgrenzen stossen, dürfte massgeblich darauf zurückzuführen sein, dass die Politik zunehmend versucht, Probleme mit Strafnormen zu lösen. Dadurch werden stetig neue Lebensbereiche kriminalisiert (Privatbestechung, Erweiterung der Antirassismusstrafnorm, Strafbestimmungen in Spezialgesetzen etc.). Viele dieser neuen Strafnormen sind objektiv betrachtet unnötig, weil das verpönte Verhalten nicht strafwürdig ist oder ebenso gut verwaltungsrechtlich geregelt werden könnte. Dennoch verursachen die neuen Strafnormen der Strafjustiz einen hohen, oft sogar überdurchschnittlich hohen Aufwand, weil sie (da eine Praxis dazu fehlt) schwer anzuwenden sind.

Eine der Hauptursachen für die Mehrbelastung der Strafjustiz dürfte weiter die Digitalisierung sein. Es gibt heute kaum. mehr ein Strafverfahren, in dessen Rahmen nicht elektronische Geräte (Notebooks, Smartphones, Dashcams etc.) auszuwerten sind. Damit ist ein beträchtlicher Zusatzaufwand verbunden – auch unabhängig von einem Siegelungsbegehren. Die Auswertung grosser Datenmengen und die dadurch verursachte Erweiterung des Aktenumfanges führen zwangsläufig zu einer Mehrbelastung der Straforgane auf allen Ebenen.

Es gibt zahlreiche weitere Umstände, die massgeblich dafür verantwortlich sind, dass Strafverfahren heute länger dauern. Im Vergleich dazu treten die Beschuldigtenrechte als Ursache in den Hintergrund. Ihr Abbau würde das Kapazitätsproblem nicht lösen. Ein Abbau der Beschuldigtenrechte würde nur dazu führen, dass Strafverfahren inskünftig weniger fair geführt werden. Dies sollten wir nicht zulassen. Kosten und Nutzen stünden in keinem vernünftigen Verhältnis.

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