Praxiswissen

Strafverteidigung – einfach erklärt

Lukas Bürge – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Die einfachste Antwort auf solche, von juristischen Laien durchaus berechtigte Fragen lautet: Ein Strafverteidiger vertritt nie einen Mörder oder einen Kinderschänder. Ob es sich um einen Mörder oder Kinderschänder handelt, weiss man erst, wenn ein Strafverfahren durchgeführt wurde und ein rechtskräftiges Urteil vorliegt. Vorher gilt die Unschuldsvermutung.

Wüsste man von Beginn weg, ob jemand ein Mörder oder ein Kinderschänder ist, erwiese sich ein Strafverfahren als obsolet. Ein Strafverteidiger vertritt per definitionem immer unschuldige Menschen.

Doch greift diese Antwort zu kurz. Es bedarf einer vertiefteren Auseinandersetzung. Die Strafverteidigung ist als einseitige Interessenvertretung der oder des Beschuldigten im Rahmen der kontradiktorischen Wahrheitssuche ein wesentliches Element im System des Rechtsstaats. Die Strafverteidigung soll unter anderem die Diskrepanz zwischen der rechtlich geschulten Strafverfolgungsbehörde und der juristisch in der Regel ungebildeten beschuldigten Person ausgleichen.

Um dieses rechtliche Ungleichgewicht zu justieren und sicherzustellen, dass die Grundrechte eingehalten werden – namentlich Anspruch auf rechtliches Gehör, Freiheitsrechte, Rechte im Strafverfahren etc.–, ist der beschuldigten Person ein rechtlicher Beistand zuzugestehen. Insofern ist die Bezeichnung des Strafverteidigers als Diener des Rechtsstaates nicht falsch.

Dabei soll der beschuldigten Person eine Strafverteidigung zur Verfügung stehen, die ihr die rechtliche Situation erklärt, sie in Bezug auf ihr Verhalten im Strafverfahren berät und sie vertritt. Die Strafverteidigung soll es dem oder der Beschuldigten darüber hinaus ermöglichen, sich gegen Zwangsmassnahmen der Strafverfolgungsbehörden adäquat zur Wehr zu setzen. Letztlich ist die Beweislage entscheidend – nicht, ob der Strafverteidiger der beschuldigten Person glaubt oder nicht.

Strafverteidigung ist jedoch weit mehr als das. Ein Mörder oder Kinderschänder ist auch ein Mensch. Er war einmal ein Kind, hat eine Familie, ein Umfeld, Bedürfnisse, Gefühle, Sorgen, vielleicht auch eine psychische Störung. Und er befindet sich in einer Ausnahmesituation – insbesondere zu Beginn eines Strafverfahrens oder wenn er in Untersuchungshaft gesetzt wird. Es liegt vor allem an der Strafverteidigung, nebst den rechtlichen Vorgaben auch diese sogenannten weichen Faktoren aufzufangen. Dies erfordert Sozialkompetenz, ein Minimum an psychologischen Grundkenntnissen sowie Kommunikations- und Coachingfähigkeiten.

So, wie es zur Professionalität eines Arztes gehört, jeden zu behandeln, gehört es zur Professionalität eines Strafverteidigers, jeden zu vertreten. Strafverteidigung hat nichts mit Moral zu tun, wenn unter Moral etwa das Mitgefühl für allfällige Opfer oder das Einstehen für Gerechtigkeit verstanden wird. Indessen basiert Strafverteidigung auf der moralisch motivierten Überzeugung, sich für die Grundrechte des Einzelnen gegenüber dem Staat einzusetzen.

Eine Strafverteidigung kann ihre rechtsstaatliche Funktion nur erfüllen, wenn sie frei von Moral wahrgenommen wird und alleine den Interessen der Klienten verpflichtet ist – dies selbstverständlich in den gesetzlichen Schranken.