Praxiswissen

Lehren aus «Corona» für das Strafverfahren

Reto Ineichen – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Nicht erst seit dem Fifa-Prozess am Bundesstrafgericht weiss man, dass die Mühlen der Justiz gerade auch im Strafverfahren oftmals langsam, manchmal sogar viel zu langsam mahlen. Mangels personeller und technischer Ressourcen ziehen sich Strafverfahren immer häufiger in die Länge, was nicht nur zu Strafminderungen wegen übermässiger Verfahrensdauer, sondern sogar auch zu Verjährungen führen kann.

Videokonferenz
Einvernahmen dürfen mittels Videokonferenz durchgeführt werden (Art. 144 StPO). Schon der Grundlagenbericht HIS von 20161 befürwortete klar den Einsatz entsprechender Mittel, weil eine Einvernahme per Videokonferenz qualitativ bessere Ergebnisse und bemerkenswerte qualitative Vorteile garantiere (S. 7 und 24). Hier zeigt gerade auch die aktuelle Coronakrise, dass der Einsatz von Videokonferenzen nicht nur Einvernahmen und Gerichtsverhandlungen erleichtern könnte, weil die Personen physisch nicht anwesend sein müssen. Auch die Verteidigungsrechte könnten wesentlich besser wahrgenommen werden, da es aktuell gar nicht möglich ist, Klientinnen und Klienten in (Untersuchungs-)Haft zu besuchen. Per Telefon ist oft aus sprachlichen Gründen kein sinnvoller Kontakt möglich. Mit einer Videokonferenz (inklusive Übersetzung) wären Besprechungen auch in Coronazeiten durchführbar.

Bessere Ergebnisse
Aber selbst bei der «normalen » Einvernahme könnte durch konsequenten Einsatz der Aufzeichnung von Bild und Ton in vielen Fällen auf die direkte Protokollierung verzichtet und dadurch die Dauer der Einvernahme wesentlich verkürzt und gleichzeitig das Ergebnis wesentlich verbessert werden (Art. 78 Abs. 5bis i.V.m. Abs. 6 StPO).

Abgekürztes Verfahren
Die frühzeitige Anwendung der Bestimmungen über das abgekürzte Verfahren würde zu einer Beschleunigung der Verfahren und einer Entlastung der Behörden führen. Leider zeigte aber eine nicht repräsentative Umfrage bei den Fachanwältinnen und Fachanwälten SAV Strafrecht, dass in den meisten Kantonen erst nach Durchführung aller aus Sicht der Staatsanwaltschaft notwendigen Untersuchungshandlungen über ein abgekürztes Verfahren verhandelt werden kann. Schon in der Botschaft (BBl 2006, 1085) wurde aber darauf hingewiesen, dass solche «Absprachen» erfolgen könnten, wenn die Konturen der strafrechtlichen Verantwortlichkeit der beschuldigten Person einigermassen klar ersichtlich seien. Dies ist zweifellos oft schon nach den ersten Untersuchungshandlungen und damit sehr früh in einem Strafverfahren der Fall, weshalb hier zusätzlich ein grosses Optimierungspotenzial vorliegt.

Vielleicht trägt «Corona» zu solchen Optimierungen bei.


1 www.his-programm.ch/Portals/0/adam/Content/HibpPUiJuEuQm7h6yA-FNQ/DocumentOrLink/grundlagenberichtvideokonferenz-v1.4-20161202-de.pdf, besucht am 21.04.2020