Praxiswissen

Kein Pauschalhonorar durch die Hintertür

André Kuhn – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Beschwerden gegen Entscheide kantonaler Berufungsgerichte betreffend die Entschädigung der amtlichen Verteidigung haben einen schweren Stand. So greift das Bundesstrafgericht grundsätzlich nur ein, «wenn die Festsetzung des Honorars ausserhalb jedes vernünftigen Verhältnisses zu den vom Anwalt geleisteten Diensten steht und in krasser Weise gegen das Gerechtigkeitsgefühl verstösst». Ausserdem übt das Bundesstrafgericht «grosse Zurückhaltung, wenn das kantonale Sachgericht den Aufwand als übersetzt bezeichnet und entsprechend kürzt». Es sei Sache der kantonalen Behörden, die Angemessenheit anwaltlicher Bemühungen zu beurteilen. Das Bundesstrafgericht begründet seine Zurückhaltung unter Verweis auf die Praxis des Bundesgerichts.1 Dies, obwohl das Bundesstrafgericht die einzige Rechtsmittelinstanz ist (Art. 135 Abs. 3 StPO; Art. 79 BGG), als solche volle Kognition hat und damit auch die Angemessenheit des Honorars zu prüfen hätte (Art. 393 Abs. 2 StPO).

Nicht zuletzt diese «StPO-widrige » Kognitionsbeschränkung des Bundesstrafgerichts dürfte das Aargauer Obergericht dazu verleitet haben, Honorarnoten amtlicher Verteidiger immer öfter als «deutlich überh.ht» zu bezeichnen (teilweise wegen 200 Franken) und die Verteidiger, ohne konkrete Bezugnahme auf ihre Honorarnote, mit einer Pauschale zu entschädigen. Damit wurden Pauschalen etabliert, die der kantonale «Anwaltstarif»2 nicht vorsieht.

Dieser Einführung einer Pauschalentschädigung «durch die Hintertüre» hat das Bundesstrafgericht einen Riegel geschoben. So hiess es am 5. Februar 2020 gleich neun Beschwerden gegen Entschädigungsentscheide des Aargauer Obergerichts gut und erwog, Entschädigungspauschalen seien nur zulässig, sofern sie (i) entweder gesetzlich vorgesehen seien (vgl. St. Gallen und Zürich) oder (ii) der von der Verteidigung geltend gemachte Zeitaufwand zum Umfang und zur Schwierigkeit des Falles in einem offensichtlichen Missverhältnis stehe. Das Bundesstrafgericht stellte klar, dass ein solches Missverhältnis nur vorliege, wenn es «ins Auge spränge»,3 was selten der Fall sein dürfte.

Das Bundesstrafgericht liess die in allen zitierten Verfahren gleiche «abstrakte und substanzarme, mithin generische» Begründung des vermeintlichen Missverhältnisses durch das Obergericht des Kantons Aargau nicht genügen, weil sie das rechtliche Gehör verletzt. Solch «rudimentäre Ausführungen» genügten den Anforderungen an die Begründungspflicht nicht. Es stellte klar, dass die vom Obergericht ins Feld geführte Vertrautheit mit dem Fall aus dem erstinstanzlichen Verfahren und die dort erhaltene Entschädigung «wenig geeignet» seien zur Klärung, ob die Honorarnote im Berufungsverfahren überh.ht ist (vgl. Fn. 3, E. 3.5). Mindestens in drei der neun zitierten Fälle hat das Aargauer Obergericht die angeblich überhöhten Honorarnoten inzwischen vollumfänglich genehmigt.4

Es ist erfreulich, dass das Bundesstrafgericht seine Kognition vorliegend angewandt und klargestellt hat, dass Pauschalentschädigungen ohne gesetzliche Grundlage nur im Ausnahmefall zulässig sind und einer eingehenden Begründung bedürfen. Ebenso erinnerte es daran, dass Pauschalen, wo sie gesetzlich geregelt sind, auf die konkreten Verhältnisse des Einzelfalls Rücksicht nehmen müssen.

1 Vgl. BB.2019.66 vom 11.11.2019, E. 2.5 mit Verweis auf BGE 141 I 124, E. 3.2.
2 Dekret über die Entschädigung der Anwälte (Anwaltstarif), SAR 291.150.
3 Vgl. Verfügungen BB.2020.5; BB.2020.1; BB.2019.280; BB.2019.269; BB.2019.256; BB.2019.209; BB.2019.203; BB.2019.118; BB.2019.77 vom 5.2.2020, jeweils E. 3.1, 3.8, 3.10.
4 Den Verfassern von den jeweiligen Beschwerdeführern bestätigt.