Praxiswissen

Hoffnung auf faire Haftverfahren nach der StPO-Revision

Amr Abdelaziz – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Über die Gründe für die fabelhafte Erfolgsquote der Staatsanwaltschaften in Haftsachen besteht Uneinigkeit: Die Zürcher Gerichte etwa beteuern, jeder Fall werde einzeln sorgfältig geprüft. Da die Staatsanwaltschaften nur im äussersten Notfall Haft beantragen würden, sei es nicht verwunderlich, dass die Gerichte praktisch alle Haftanträge gutheissen.1

Die Erfahrung der Strafverteidiger ist eine andere: Untersuchungshaft wird von den Staatsanwaltschaften nicht als ultima ratio, sondern als prima ratio eingesetzt. In den allermeisten Kantonen winken die Gerichte die Haftanträge durch und Beschwerden dagegen werden fast immer abgewiesen. Dies wirft die Frage auf: Muss die Funktion der Verteidigung in diesen eigenartigen Haftverfahren grundsätzlich hinterfragt werden? Das Mitwirkungsverweigerungsrecht steht im Strafprozess zwar den Beschuldigten und nicht ihren Verteidigern zu. Anwälte sind aber nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung nicht verpflichtet, aussichtslose Bemühungen zu tätigen. Als aussichtslos gelten dabei Prozesshandlungen, «bei denen die Gewinnaussichten beträchtlich geringer sind als die Verlustgefahren und die deshalb kaum als ernsthaft bezeichnet werden können».2

Für aussichtslose Prozesshandlungen besteht zudem kein Anspruch auf Entschädigung. Die bundesgerichtliche Definition von Aussichtslosigkeit passt im Haftkontext wie die Faust aufs Auge. Es mag deshalb erstaunen, dass die diesbezügliche Verteidigungsarbeit von den Gerichten dennoch regelmässig entschädigt wird. Wie ist das zu erklären? Der Gedanke, dass die Verteidiger in diesen Verfahren als Feigenblätter des Rechtsstaates fungieren und dass ihre aussichtslosen Bemühungen primär dazu dienen, den Haftverfahren den Anschein von Fairness und damit Legitimität zu verleihen, ist da nicht völlig abwegig. Strukturell unfaire Verfahren untergraben das Vertrauen in die Gerichtsbarkeit. Es sind deshalb die Gerichte, die ihre Rolle in den Haftverfahren neu definieren sollten.

Bisher waren die Staatsanwälte die faktischen Haftrichter. Dies muss sich ändern. In der jüngsten StPO-Revision hat der Gesetzgeber klargestellt, dass Staatsanwälte in Haftsachen nicht beschwerdelegitimiert sind. Das Bundesgericht hat entschieden, dass dies schon vor Inkrafttreten der Revision gilt.3 Mit anderen Worten: Die Staatsanwälte können und sollen den Haftrichtern nicht mehr reinreden. Es ist zu hoffen, dass die Zwangsmassnahmengerichte diesen Auftrag des Gesetzgebers ernst nehmen und ihre Rechtsprechung so anpassen, dass Haft im strafprozessualen Instrumentarium tatsächlich zur ultima ratio wird.

1 Lukas Häuptli, «Das düsterste Kapitel unserer Justizpraxis», in: Republik vom 29.9.2022.
2 Vgl. etwa BGer 1B_507/2022 vom 22.2.2023, E. 4.3.
3 BGer 1B_614/2022 und 1B_628/2022 vom 10.1.2023.