Praxiswissen

Fallgruben im neuen Siegelungsrecht

Andrea Taormina – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Das neue Siegelungsrecht besteht aus drei revidierten Artikeln: Art. 248, Art. 248a und Art. 264 Abs. 3 StPO. Wesentliche Neuerungen betreffen erstens die Dreitagefrist für das Vorbringen des Siegelungsbegehrens (Art. 248 Abs. 1 StPO), zweitens die Informationspflicht der Strafbehörde bei fehlender Identität von Inhaberin und berechtigter Person (Art. 248 Abs. 2 StPO) und drittens die nicht erstreckbare Frist für die Einwände gegen das Entsiegelungsgesuch (Art. 248a Abs. 3 StPO).

Die neue gesetzliche Dreitagefrist für das Vorbringen des Siegelungsantrags ist eine erste Fallgrube, denn sie bedeutet in zeitlicher Hinsicht eine Verkürzung im Vergleich zum heutigen Recht. Nach geltendem Recht kann gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung das Siegelungsbegehren innert sieben Tagen nach der Sicherstellung gestellt werden. Im neuen Recht wird nicht ausdrücklich geregelt, ob die Dreitagefrist ab der Sicherstellung der Aufzeichnungen und Gegenstände zu laufen beginnt oder ab Kenntnisnahme der Sicherstellung. Eine systematische Auslegung der neuen Dreitagefrist spricht dafür, dass die Dreitagefrist erst ab Kenntnisnahme der Sicherstellung läuft. Immerhin jedoch ist die Strafbehörde nach dem neuen Art. 248 Abs. 2 StPO – gemäss Wortlaut also die Strafverfolgungsbehörden nach Art. 12 StPO und die vier Behörden mit gerichtlichen Befugnissen nach Art. 13 StPO – verpflichtet, der berechtigten Person Gelegenheit zu geben, ein Siegelungsbegehren zu stellen, sobald sie feststellt, dass die Inhaberin oder der Inhaber nicht mit der an den Aufzeichnungen oder Gegenständen berechtigten Person identisch ist. Diese Pflicht muss nicht nur im Vorverfahren, sondern auch im Haupt- und Rechtsmittelverfahren gelten.

Eine weitere Fallgrube findet sich im neuen Art. 248a Abs. 3 StPO: Wird im Nachgang zu einem Siegelungsbegehren innert Frist ein Entsiegelungsgesuch beim Zwangsmassnahmengericht oder bei der Verfahrensleitung gestellt, setzt das Entsiegelungsgericht der berechtigten Person eine nicht erstreckbare Frist von 10 Tagen, innert der sie Einwände gegen das Entsiegelungsgesuch vorzubringen und sich dazu zu äussern hat, in welchem Umfang sie die Siegelung aufrechterhalten will. Im geltenden Recht gibt es keine gesetzlich geregelte Frist für die Einreichung der Stellungnahme zum Entsiegelungsgesuch. In der Praxis wird heute die richterliche Frist regelmässig zunächst abgenommen oder grosszügig erstreckt, weil – in komplexeren Siegelungsverfahren – eine Stellungnahme zur Zulässigkeit der Zwangsmassnahme, zum Tatverdacht, zur potenziellen Beweistauglichkeit, zur Verhältnismässigkeit der Durchsuchung und zum Vorhandensein von Geheimhaltungsinteressen innert der erstmals angesetzten Frist oft unmöglich ist.

Im Zusammenhang mit der Anwendung von Art. 248a Abs. 3 StPO stellen sich verschiedene Fragen. Es fällt auf, dass die Bestimmung den Zeitpunkt der Fristansetzung nicht regelt. Aufgrund des Anspruchs auf rechtliches Gehör muss der berechtigten Person in aller Regel neben der Einsicht in die Akten auch Einsicht in die gesiegelten Aufzeichnungen und Gegenstände gegeben werden. Es wird regelmässig unumgänglich sein, vor einer Fristansetzung die gesiegelten Aufzeichnungen (z.B. Datenträger) forensisch aufzuarbeiten. Die Verteidigung wird darauf hinarbeiten müssen, dass der Anspruch der berechtigten Person auf rechtliches Gehör in jedem Fall gewährleistet ist und durch die Frist von Art. 248a Abs. 3 StPO nicht ausgehebelt wird.