Praxiswissen

Endstation «stationäre Massnahme»

Reto Ineichen – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Stellt sich eine in Freiheit oder während des Strafvollzugs angeordnete ambulante Therapie als aussichtslos heraus, kann das Gericht nach deren Aufhebung gestützt auf Art. 63b Abs. 5 StGB eine stationäre therapeutische Massnahme im Sinne von Art. 59 StGB anordnen, wenn zu erwarten ist, dadurch lasse sich der Gefahr weiterer, mit dem Zustand des Täters in Zusammenhang stehender Verbrechen und Vergehen begegnen.1 Das Bundesgericht erachtet die Umwandlung einer gescheiterten ambulanten Behandlung in eine stationäre Massnahme gestützt auf Art. 63b Abs. 5 StGB auch nach vollständiger Strafverbüssung als zulässig.2

Zulässigkeit nachträglich angeordneter Massnahmen
Die Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme nach Verbüssung der Freiheitsstrafe stellt einen schweren Eingriff in die Freiheitsrechte des Betroffenen dar. Eine solche Umwandlung ist daher nur in klaren Ausnahmefällen und unter strenger Berücksichtigung der Verhältnismässigkeit zulässig. Eine klare Ausnahmesituation ist anzunehmen, wenn ein entlassener Straftäter nach dem Scheitern der Therapie die öffentliche Sicherheit in schwerer Weise gefährden würde und nur eine langfristige stationäre Behandlung die Rückfallgefahr vermindern könnte.3

Es wird damit einer späteren Entwicklung Rechnung getragen.4 Zur späteren Abänderung von Massnahmen5 muss verlangt werden, dass sich vor oder während des Vollzugs der Freiheitsstrafe neue Tatsachen oder Beweismittel ergeben haben, welche die Voraussetzungen einer Massnahme begründen können.6

Dies sollte bei sämtlichen nachträglichen Anordnungen von stationären Massnahmen gelten, da immer Art. 5 EMRK zu beachten ist und mit dem Zeitablauf zunehmend strengere Anforderungen an den Kausalzusammenhang des Art. 5 Abs. 1 lit. a EMRK zu stellen sind.7 Schon für die Aufhebung der Massnahme durch die zuständige Behörde muss ein besonderes Fehlverhalten vorausgesetzt werden.

8 Fehlt es also an einer neuerlichen, mit dem ursprünglichen Delikt kausal zusammenhängenden Tat, bleibt bei richtiger Betrachtung auch für eine nachträgliche Umwandlung einer ambulanten in eine stationäre Massnahme kein Raum. Oder anders gesagt: Scheitert eine ambulante Massnahme an Bagatellen wie der Nichteinhaltung von Terminen oder dem Konsum von Cannabis, kann und darf dies auch bei nach wie vor gegebenen psychischen Erkrankungen nicht zu einer nachträglichen Anordnung einer stationären Massnahme führen. Andernfalls würden einfach alle problematischen Fälle nach erfolglosen ambulanten Behandlungen in stationären Massnahmen «deponiert ». Das kann sich aber das schweizerische Rechtssystem aus finanziellen und erst recht aus menschenrechtlichen Gründen nicht leisten!

1 Eingehend BGer 6B_253/2015 vom 23.7.2015, E. 2.2.
2 BGer 6B_68/2016 vom 28.11.2016, E. 2.4 und 5.4 (= BGE 143 IV 1, allerdings ohne E. 2.4 und 2.5!).
3 BGer 6B_68/2016 vom 28.11.2016, E. 2.5 mit Verweisen (= BGE 143 IV 1, allerdings ohne E. 2.4 und 2.5!).
4 Vgl. BGE 141 IV 396, E. 3.1, bestätigt in BGE 142 IV 307, E 2.2.
5 Vgl. BGE 136 IV 156.
6 BGE 142 IV 307, E 2.3 mit Verweisen.
7 BGE 136 IV 156, E. 3.2.
8 BGE 136 IV 156, E. 3.3 (in diesem Fall ging das Bundesgericht in E. 3.4 davon aus, dass die früheren und neuen Delikte der Täterin einen ähnlich grossen Personenkreis einer Gefahr aussetzten und in beiden Fällen das strafbare Verhalten im besonderen psychischen Zustand der Täterin begründet ist, wie er immer schon vorgelegen habe).