Praxiswissen

Verdachtsunabhängig erstellte DNA-Profile

Denise Wüst – Rechtsanwältin und Fachanwältin SAV Strafrecht

Die Erstellung eines DNA-Profils während eines laufenden Strafverfahrens stellt eine Zwangsmassnahme dar. Sie darf nur verfügt werden, wenn sie gesetzlich vorgesehen ist, ein hinreichender Tatverdacht vorliegt, die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können und die Bedeutung der Strafe die Zwangsmassnahme rechtfertigt (Art. 197 StPO).

Art. 255 StPO lässt die DNA-Profilerstellung unter bestimmten Voraussetzungen zu, soweit sie der Aufklärung eines Vergehens oder Verbrechens dient. Keine gesetzliche Grundlage bietet Art. 255 StPO indes für eine präventive Profilerstellung zur Aufklärung zukünftiger Straftaten. Diesbezüglich legt Art. 257 StPO abschliessend fest, dass DNA-Profilerstellungen erst nach einer Verurteilung und nur unter strengen Bedingungen zulässig sind.

Die frühzeitige Erstellung eines DNA-Profils zur Aufklärung allfälliger künftiger Delikte ist auch mangels hinreichenden Tatverdachts abzulehnen. Ein solcher kann bezüglich einer Tat, die noch gar nicht begangen wurde, naturgemäss nicht vorliegen.

Dennoch lässt das Bundesgericht die präventive DNA-Profilerstellung auch zur Aufklärung allfälliger künftiger Delikte zu (vgl. BGE 145 IV 263). Weil die Schweizerische Strafprozessordnung dafür keine Rechtsgrundlage bietet, bedienen sich die Gerichte zuweilen des nebulösen Art. 1 Abs. 2 lit. a des DNA-Profil-Gesetzes, der weder dem Bestimmtheitsgebot noch einer systematischen Auslegung standhält. Das Bundesgericht ermöglicht damit im Ergebnis die verdachtsunabhängige Beweisausforschung und Profilierung von Menschen mit blossen Verhaltensauffälligkeiten, beides Massnahmen, die strafprozessual nicht zulässig sind. Diese Gerichtspraxis ist weder konstant noch stringent und wird in der Lehre zu Recht vielseitig kritisiert (vgl. statt vieler Niklaus Ruckstuhl, «Die Erstellung eines DNA-Profils im Hinblick auf allfällige künftige Straftaten», in: Forumpoenale 3/2020, S. 228 ff. m.w.H.).

Erfreulicherweise wendet sich auch die laufende Revision der Strafprozessordnung gegen die erwähnte Rechtsprechung des Bundesgerichts. Die Botschaft stellt klar, dass es sich bei der Aufklärung möglicher künftiger Delikte bzw. bei der Wiedererkennung von Rückfalltätern um eine präventive Massnahme handelt, welche ausschliesslich unter den Voraussetzungen von Art. 257 StPO zulässig ist. Dieser erlaubt der urteilenden Behörde die Erstellung eines DNA-Profils nicht bereits während eines laufenden Strafverfahrens, sondern erst, wenn die beschuldigte Person wegen eines Verbrechens oder Vergehens verurteilt wurde. Erforderlich ist im Übrigen stets, dass aufgrund konkreter Anhaltspunkte anzunehmen ist, die beschuldigte Person könnte weitere Verbrechen oder Vergehen begehen.

Strafverfolgungsbehörden und Gerichte lassen sich leider allzu oft vom gefährlichen Trend leiten, sämtliche Massnahmen anzuordnen bzw. zuzulassen, die der Verbrechensbekämpfung möglicherweise dienen könnten. Es ist daher bedeutsam, dass die Verteidigung von der Staatsanwaltschaft im Vorverfahren stets eine schriftliche Begründung der beabsichtigten Zwangsmassnahme verlangt und diese konsequent anficht, wenn ihr kein hinreichender Tatverdacht zugrunde liegt, sie nicht von Art. 255 StPO erfasst wird und nicht als verhältnismässig erscheint.