Praxiswissen

Die Strafverfügung und das trojanische Pferd

Andrea Taormina – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Strafverfügungen werden von der Verwaltung erlassen. Sie schliessen Verwaltungsstrafverfahren mit dem Aussprechen einer Sanktion ab. Ist die beschuldigte Person mit der Strafverfügung nicht einverstanden, kann sie deren gerichtliche Beurteilung verlangen. Die Strafverfügung ist so betrachtet mit dem Strafbefehl des gemeinen Strafrechts vergleichbar. Der nicht rechtskräftige Strafbefehl unterbricht die Verjährung jedoch nicht, sondern grundsätzlich erst das erstinstanzliche Urteil. Im Verwaltungsstrafverfahren hingegen soll die Strafverfügung die Verjährung unterbrechen. Damit hat es die Verwaltung – und nicht eine unabhängige richterliche Behörde – in der Hand, wann die Verjährung unterbrochen wird. Honi soit qui mal y pense. Es besteht das Risiko, dass die Verwaltung ein Strafverfahren entweder weniger beförderlich oder weniger sorgfältig führt.

Das Bundesgericht schwankte bei dieser Frage: In früheren Entscheiden bejahte es die verjährungsunterbrechende Wirkung. In einem neueren Entscheid (BGE 139 lV 62, E 1.4.6) liess es das Bundesgericht offen, ob «folgerichtig» (sic!) die Rechtsprechung betreffend verjährungsunterbrechende Wirkung der Strafverfügung zu ändern wäre. Drei Jahre später setzte es in BGE 142 IV 276 die bisherige Rechtsprechung fort. Immerhin: Das Bundesgericht schloss nicht aus, bei besserer Erkenntnis des Gesetzeszwecks oder Vorliegen ernst hafter sachlicher Gründe die Praxis zu ändern (BGer 6B_207/2017 vom 11. September 2017, E. 1.6.). Die fast einhellige Lehre spricht sich gegen die verjährungsunterbrechende Wirkung aus. Begründet wird diese Ansicht insbesondere mit den Argumenten, dass eine Strafverfügung mit verjährungsunterbrechender Wirkung den Anspruch der beschuldigten Person auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht nach Art. 6 Ziff. 1 EMRK verletzt und die unterschiedliche Wirkung des Strafbefehls und der Strafverfügung dogmatisch unerwünscht ist. Und nun tritt die Exekutive auf den Plan und schlägt in der Botschaft zur Harmonisierung der Strafrahmen und Anpassung des Nebenstrafrechts an das geänderte Sanktionenrecht der Legislative vor, diese kontroverse Frage durch Erlass eines Art. 11 Abs. 3bis VStrR ein für alle Mal zu beantworten und der Strafverfügung gesetzlich die verjährungsunterbrechende Wirkung zuzusprechen. Diese weitreichende gesetzliche Regelung – die notabene nichts mit Sanktionenrecht zu tun hat – wird nicht etwa als wichtiger Revisionspunkt hervorgehoben, sondern in ein umfangreiches Revisionsvorhaben verpackt und derart versteckt – gleich einem trojanischen Pferd – dem Gesetzgeber vorgeschlagen. Die Botschaft begründet die vorgeschlagene Regelung alleine damit, dass sie eine schlichte Kodifizierung der bundesgerichtlichen Rechtsprechung sei, was in dieser Form verkürzt dargestellt ist. Die berechtigte Kritik der Lehre wird mit keinem Wort erwähnt. Und schliesslich: Wenn die bundesgerichtliche Rechtsprechung angeblich so klar ist, warum muss sie dann in Art. 11 Abs. 3bis VStrR gesetzlich geregelt werden? Bislang regt sich kein politischer Widerstand. Affaire à suivre!

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