Praxiswissen

Das Geständnis als Versuchung der Strafverteidigung

Stephan Schmidli – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Wie handelt eine Strafverteidigung, wenn sich nach der ersten Einvernahme des oder der Beschuldigten zeigt, dass die Aussagen keinesfalls mit den vorgehaltenen Beweismitteln übereinstimmen? Oder wenn eine durchgehende Aussageverweigerung einer erdrückenden Beweislage gegenübersteht? Ist hier nicht praktisch jede Strafverteidigung versucht, das Aussageverhalten der beschuldigten Person mit der Aktenlage wenigstens minimal in Übereinstimmung zu bringen? Dies mit der Aussicht nicht nur auf ein abgekürztes Verfahren, sondern auch auf eine Haftentlassung wegen des Wegfalls der Kollusionsgefahr? Und schliesslich im Hinblick auf einen Geständnisbonus bei der Strafzumessung? Weil mit einem Geständnis die Verteidigung viel einfacher ausfiele und sich erst dann mildernde Umstände geltend machen, was bei einer Bestreitung praktisch unmöglich ist, weil, auch wenn nur eventualiter vorgebracht, solches einen Schuldspruch präjudizieren würde?

Trotzdem sei davor gewarnt, solchen Verlockungen nachzugeben, vor allem in einem noch frühen Verfahrensstadium. Zwar sollte die Verteidigung nach der ersten Einvernahme der beschuldigten Person über Akteneinsicht verfügen, jedoch gibt es absolut keine Garantie dafür, dass mit einem frühen Geständnis zum Beispiel die Untersuchungshaft beendet werden könnte, kann doch immer noch von Seiten der Staatsanwaltschaft ins Feld geführt werden, die Angaben der beschuldigen Person seien noch zu überprüfen, weshalb die Kollusionsgefahr weiter bestehe, dies insbesondere, wenn Drittpersonen durch das Geständnis belastet worden sind.

Und dann ist auch keinesfalls garantiert, dass ein abgekürztes Verfahren tatsächlich unter dem Strich zu einer Strafmilderung führt, vor allem dann nicht, wenn die Verteidigung ein Geständnis erwirkt, damit das abgekürzte Verfahren endlich eingeleitet wird, aber damit riskiert, dass das Geständnis vor Gericht verwertbar wäre, falls dem vorgeschlagenen Strafmass nicht zugestimmt werden kann.

Schliesslich gibt es absolut keine Garantie dafür, dass ein Geständnisbonus von Seiten der Staatsanwaltschaft im abgekürzten Verfahren auch tatsächlich angemessen gewährt wird. Heute besteht die Tendenz, mit dem Rechner das Strafmass zu bestimmen gestützt auf sogenannte Referenzdelikte, multipliziert mit der Anzahl der Taten und einer schematischen Asperation, um schlussendlich die im besten Fall wiederum schematischen maximal 30 Prozent Strafminderung zufolge des Geständnisses anzuwenden: Dies unbesehen davon, ob Delikte gestanden worden sind, von denen die Polizei gar nichts wusste oder die Beweislage dermassen dürftig war, dass es ohne Geständnis niemals zu einem Schuldspruch hätte kommen können, oder dass Dritte belastet wurden.

Schliesslich gilt immer noch die Feststellung des Obergerichtes Zürich, wonach zwar die Überlegung zutreffe, dass ein Geständnis und die Belastung anderer nicht dasselbe seien und deshalb auch nichts dagegen einzuwenden sei, wenn wegen des Geständnisses und wegen der Belastung anderer je eine Strafminderung erfolge, aber vorbehältlich der Voraussetzungen von Art. 53 StGB (Wiedergutmachung) es jedoch nicht soweit kommen könne, dass das Verschulden durch das Nachtatverhalten weitgehend kompensiert werde, sondern der Raum für eine Reduktion unter diesem Titel grundsätzlich beschränkt sei (OGer ZH, SB 120031, 29.06.2012).