Praxiswissen

Anforderungen an die Strafverteidigung

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Eine gute Strafverteidigerin verfügt über sattelfeste juristische Kenntnisse und die Grundhaltung, Straf- und Strafprozessrechtsdogmatik im Sinne eines Straflimitierungs- und nicht Strafverfolgungsrechts fortzuentwickeln. Dies reicht indessen nicht aus, um ihren Pflichten der Kontrolle, Mitwirkung, Fürsorge und Beratung nachzukommen: Strafverfahren spielen sich in sensiblen Kräfte- und Machtverhältnissen ab.

Die Verteidigung bedarf deshalb auch eines gesellschaftspolitischen Sensoriums, insbesondere für sozioökonomische Asymmetrien. Strafverteidigung bedingt eine zielgerichtete, instrumentelle Vernunft. Daher ist ein versiertes strategisches Denken unabdingbar. Es ist zentral, nicht bei einem Dienst nach Vorschrift zu verharren, nach dem etablierten Drehbuch der Strafrechtspraxis.

Vorzugehen ist auf den Einzelfall massgeschneidert, wenn nötig out-of-the-box. Hierfür muss die Verteidigerin auch zahlreiche fachfremde Wissensgebiete erschliessen; denn Strafverfahren spielen sich in allen gesellschaftlichen Feldern ab. Sodann setzt eine erfolgreiche Strafverteidigung überdies rhetorische, narrative Fähigkeiten sowie eine gute Auftrittskompetenz voraus.

Als wäre das alles nicht schon genug, ist zudem der Umgang mit der eigenen Klientschaft anspruchsvoll. Zwar ist der Strafverteidiger nicht Therapeut oder spiritueller Seelsorger, aber zumindest Coach seiner Klientin für die Positionierung im Strafverfahren und den psychosozialen Umgang mit dieser Ausnahmesituation.

Und ohnehin ist es für die Verteidigung anspruchsvoll, konsequent fremde Interessen zu wahren und weder mit den eigenen zu vermengen noch letztere (unbewusst) in den Vordergrund zu rücken.

Restlos einlösbar werden all diese Anforderungen nie sein. Strafverteidigerinnen haben unterschiedliche Stärken und Schwächen. Statt Perfektion anzustreben, ist die eigene Entwicklung das sinnigere Ziel. Sowohl die juristische Ausbildung bis und mit Anwaltspatent wie die Weiterbildung fokussieren zu einseitig auf die juristischen Kenntnisse.

Andere Fähigkeiten werden nicht systematisch geschult, obwohl sie für eine gute Strafverteidigung ebenso zentral sind. Der ersten Generation von Fachanwälten Strafrecht und den weiteren versierten Strafverteidigern obliegt es daher, in den kommenden Jahren Berufsstandards und Weiterbildungen zu etablieren, die ihrer Profession umfassend gerecht werden.