Praxiswissen

Zeit zum Schweigen, Zeit zum Reden

Simon Gubler – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Ein sachgerechtes Aussageverhalten der beschuldigten Person erfordert eine angemessene Informationsgrundlage. 
Oft ist es vorteilhaft, mit Äusserungen zuzuwarten, bis man die Akten der Staatsanwaltschaft gesehen hat. 

Regelmässig ist die Beweislage auch nach einer ersten Akteneinsicht nur schwer vorhersehbar.
Vermeintlich irrelevante oder entlastende Äusserungen können zu einem späteren Zeitpunkt belastend wirken oder Verteidigungsargumente perpetuieren. Sind insbesondere noch diverse Beweise abzunehmen – beispielsweise die Befragung anderer Personen oder die Auswertung von Datenträgern –, spricht dies dafür, mit einer Einlassung noch zuzuwarten. Unpräzise Aussagen können zu Widersprüchen oder Selbstbelastungen führen. Dies gilt unabhängig vom Informationsstand der beschuldigten Person und vom Wahrheitsgehalt ihrer Aussagen. Das Risiko von Widersprüchen und Selbstbelastungen ist umso grösser, je früher und je öfter Aussagen gemacht werden. Die selektive Aussageverweigerung ist mit besonderen Risiken behaftet. Einerseits kann der Eindruck entstehen, dass die befragte Person sich nur zu den Punkten äussert, die für sie nicht belastend sind. Andererseits ist es schwierig zu entscheiden, welche Punkte ohne Nachteil beantwortet werden können. 

Ist der Beweisaufwand der Staatsanwaltschaft in einer Sache gross – etwa weil grosse Datenmengen analysiert werden müssen –, stärkt das Schweigen die Verhandlungsposition der Strafverteidigung.
Einerseits lässt sich die Verteidigung so verschiedene Argumentationsvarianten offen. Andererseits besteht ein Interesse der Staatsanwaltschaft, sich mit der Gegenseite zu finden, um den Aufwand zu senken. Oft kann zwischen Staatsanwaltschaft und Strafverteidigung ein Konsens gefunden werden, indem vereinbart wird, dass im Falle eines Geständnisses auf dieses abgestellt und keine weiteren Beweise abgenommen werden. Dadurch können sowohl der Beweiserhebungsaufwand der Staatsanwaltschaft als auch das Risiko weitergehender belastender Elemente für die beschuldigte Person minimiert werden. 

In Haftfällen entscheidet sich regelmässig unabhängig von allfälligen Aussagen der beschuldigten Person, ob Haft angeordnet wird.
Insbesondere, wenn mehrere Beschuldigte involviert sind, lässt auch eine noch so konzise Erklärung des Geschehens in der Regel weder Tatverdacht noch Haftgründe entfallen. Ob ausnahmsweise dennoch mit einer Einlassung eine Haftentlassung erreicht werden kann, muss im Einzelfall ermittelt werden. 

Trotz Risiken kann sich im Einzelfall eine frühe Einlassung aufdrängen.
Eine frühe Einlassung kann die Glaubwürdigkeit stärken. Namentlich bei «Vier-Augen-Delikten » kann es vorteilhaft sein, die Position der beschuldigten Person zeitnah einzubringen; andernfalls bleibt die belastende Version die einzige, an welcher sich Staatsanwaltschaft und Gericht orientieren. Ebenfalls kann sich bei einer erdrückenden Beweislage ein frühes Geständnis lohnen.