Am 1. Oktober 2023 trat Artikel 90 Absatz 3ter SVG in Kraft. Der Gesetzgeber wollte damit die starren Regeln zur Ausfällung einer Mindeststrafe von einem Jahr bei Tempoexzessen im Strassenverkehr (Raserdelikte) lockern und den rechtsanwendenden Behörden mehr Ermessensspielraum im Einzelfall zugestehen.
So können die Gerichte die Mindeststrafe von einem Jahr bei Raserdelikten nach Artikel 90 Absatz 3 SVG unterschreiten und auch eine Geldstrafe aussprechen, wenn der Täter innerhalb der letzten zehn Jahre vor der Tat nicht wegen einer groben Verletzung der Verkehrsregeln (Artikel 90 Absatz 2 SVG) verurteilt worden ist. Ebenso fällt die Anwendung von Artikel 90 Absatz 3ter SVG bei Vorliegen von Körperverletzungs- oder Tötungsdelikten im Strassenverkehr innert der letzten zehn Jahre vor der Tat ausser Betracht.
Die Schweizerische Staatsanwaltschaftskonferenz (SSK) formulierte am 23. November 2023 zur Umsetzung dieses Ersttäterprivilegs eine Emp-fehlung. Dieser Empfehlung nach sei dieses nicht anzuwenden, wenn die Täterschaft weniger als sieben Jahre im Besitz der entsprechenden Fahrerlaubnis ist.
Hierzu ist anzumerken, dass man sich auch ohne Fahr erlaubnis einer groben Verkehrsregelverletzung oder eines Körperverletzungs- beziehungsweise Tötungsdelikts im Strassenverkehr strafbar machen kann. Insofern hätte der Gesetzgeber, wenn er Junglenker von dieser Privilegierung hätte ausnehmen wollen, die Nichtanwendung dieser Gesetzesbestimmung auf Inhaber einer Fahrerlaubnis auf Probe im Sinne von Artikel 15a SVG festschreiben müssen. Es kam sodann weder in der Botschaft noch in der parlamentarischen Beratung zur Sprache, dass Junglenker von der Anwendung dieser Privilegierung ausgenommen sind. Damit wird der Wille des Gesetzgebers klar, dass auch Junglenker in den Genuss des Ersttäterprivilegs kommen sollen.
Sodann ist auf die von der SSK festgelegte Mindestdauer von sieben Jahren, während deren ein Täter über eine entsprechende Fahrerlaubnis verfügen muss, einzugehen. Anzumerken ist hier, dass man konsequenterweise die dreijährige Dauer des Führerausweises auf Probe für diese Frist hätte heranziehen müssen, wenn man sich auf den Standpunkt stellt, dass gemäss Gesetz Junglenker von einer Privilegierung ausgeschlossen sein sollen. Aber auch die zehnjährige Frist der Vorstrafenlosigkeit im einschlägigen Bereich wäre zur Festlegung der Mindestzeit, über die man die Fahrerlaubnis verfügen muss, denkbar gewesen. Vor diesem Hintergrund erweist sich die von der SSK gewählte Frist somit auch als willkürlich.
Die Anwendung der Empfehlung der SSK erweist sich somit einerseits als Ermessensunterschreitung und an dererseits als willkürlich. Es bleibt zu hoffen, dass die Gerichte die Empfehlungen der Schweizerischen Staatsanwaltschaftskonferenz nicht als sakrosankt wahrnehmen und sich die Mühe machen, unabhängig und sorgfältig zu entscheiden.