Praxiswissen

Einvernahmen im Vorverfahren – jedes Wort zählt

Simon Gubler – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Aktuelle Rechtslage
Nach Artikel 76 der Strafprozessordnung (StPO) müssen nur «entscheidende Fragen und Antworten» wörtlich protokolliert werden. Ein sinngemässes Protokoll ist zulässig. Eine Pflicht, «in Echtzeit» transparent zu machen, was gerade protokolliert wird («shared screen»), lässt sich der StPO nicht entnehmen. Eine Pflicht zur audiovisuellen Aufzeichnung besteht einzig in Ausnahmekonstellationen (Artikel 154 Absatz 4 litera d StPO).

Problematik der aktuellen Rechtslage
Einvernahmeprotokolle sind oft die entscheidenden Beweismittel. Gerichte befassen sich regelmässig erst Jahre nach der ersten Einvernahme mit dem Fall und stellen dabei massgebend auf die Vorakten samt Einvernahmeprotokolle ab. Sinngemässe Einvernahmeprotokollen sind aber ungenau und vom Ermessen der protokollführenden Person geprägt. Diese fasst den mutmasslichen Sinn des Gesagten zusammen. Es ist problematisch, die Ermittlung des Sinns des Gesagten allein derjenigen Seite aufzuerlegen, welche später die Anklage vor Gericht zu vertreten hat. Unabhängig davon besteht die Gefahr, dass die Selektion des Wesentlichen durch einen hypothetischen Grundverdacht, von dem die befragende Person unbeabsichtigt ausgeht, beeinflusst wird. Das im Ermessen der protokollführenden Person Weggelassene ist dabei verloren, selbst wenn es sich im Nachhinein als wesentlich erweist. Schliesslich kann beim selektiven Protokoll die Glaubhaftigkeit der Aussagen, namentlich basierend auf dem Detailreichtum einer Aussage, nur noch schwer eruiert werden. 

Verteidigungsinstrumente
Die Verteidigung kann darum ersuchen, dass die Einvernahme audiovisuell aufgenommen wird. Ein Anspruch darauf besteht nicht. Die Frage, ob eine Aufnahme im Interesse der Klientschaft liegt, ist im Einzelfall schwer vorherzusagen. Die Verteidigung muss wissen, was gerade protokolliert wird. Zu begrüssen ist die transparente Praxis, die laufende Mitverfolgung der Protokollierung auf dem Bildschirm zu ermöglichen. Wird kein «shared screen» ermöglicht, hat die Rechtsvertretung bei entscheidenden Stellen darum zu ersuchen, ihr das soeben Protokollierte vorzulesen. Fehlende oder inkorrekte Wiedergaben auch nonverbaler Geschehnisse sind zu berichtigen. Die Verteidigung sollte bei Nichtvorhandensein eines «shared screens» ein eigenes wortwörtliches Protokoll führen, um so unmittelbar nach der Einvernahme oder nach Zustellung des Protokolls allfällige Berichtigungen anbringen zu können. Die fortlaufende Korrektur von Protokollierungsfehlern durch die Verfahrensleitung ohne handschriftliche Anbringung ist aber vorteilhafter.

Fazit
Es ist für alle Beteiligten gewinnbringend, wenn laufend transparent gemacht wird, was protokolliert wird. Andernfalls ist das Protokoll umso genauer zu prüfen.

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