Das abgekürzte Verfahren stammt aus den USA. Es soll die Gerichte entlasten. Amerikanische Gerichte erledigen die überwiegende Zahl aller Straffälle in abgekürzten Verfahren. Sonst droht ein aufwendiges und kompliziertes Beweisverfahren.
In der Schweiz kennt der Kanton Tessin bereits seit 25 Jahren ein abgekürztes Verfahren. Aber erst die Schweizerische Strafprozessordnung (StPO) führte das abgekürzte Verfahren 2011 auf nationaler Ebene ein. Allerdings blieb die Einführung des abgekürzten Verfahrens in der StPO von 2011 nicht unbestritten, da es rechtsstaatliche Überzeugungen tangiert. Es soll deshalb nur dann zur Anwendung kommen, wenn die beschuldigte Person die Tatvorwürfe wenigstens grundsätzlich anerkennt.
Das Geständnis der beschuldigten Person setzt in aller Regel Verhandlungen mit der Staatsanwaltschaft voraus. Geständnis gegen Beschränkung der Anklage heisst das Rezept. Die StPO regelt nicht, wie die Verhandlungen zwischen beschuldigter Person und Staatsanwaltschaft verlaufen sollen. Sie sind nicht einmal zu protokollieren, sondern nur aktenkundig zu machen. Man einigt sich, oder man einigt sich nicht.
Eher unklar ist die Voraussetzung für die Durchführung des abgekürzten Verfahrens, wonach die beschuldigte Person die Zivilansprüche dem Grundsatz nach anerkennen muss (Artikel 358 StPO). Erst nachdem die Staatsanwaltschaft «endgültig» über die Durchführung des abgekürzten Verfahrens entschieden hat, muss nämlich die Privatklägerschaft ihre Zivilansprüche anmelden (Artikel 359 StPO).
Das heisst, die Durchführung des abgekürzten Verfahrens setzt nicht etwa einen schriftlichen Vergleich mit der Privatklägerschaft oder eine ziffernmässige Schuldanerkennung durch die beschuldigte Person voraus. Ein Lippenbekenntnis der beschuldigten Person genügt. Die Privatklägerschaft kann keine rechtsverbindliche Anerkennung ihrer Zivilansprüche erzwingen. Sie hat aber das letzte Wort, weil sie die Anklage der Staatsanwaltschaft ohne Begründung ablehnen darf (Artikel 360 StPO). Daraufhin muss die Staatsanwaltschaft das ordentliche Untersuchungsverfahren zu Ende führen. Es kommt zu einer gerichtlichen Beurteilung der Anklagevorwürfe.
Die Privatklägerschaft kann somit die Durchführung des abgekürzten Verfahrens zu Fall bringen. Und zwar nicht nur dann, wenn ihr die grundsätzliche Anerkennung ihrer Zivilansprüche nicht genügt, sondern auch dann, wenn sie mit der ausgehandelten Strafe nicht einverstanden ist. Kurz: Die Privatklägerschaft entscheidet im abgekürzten Verfahren über alles oder nichts.