Praxiswissen

Heikle Beschränkung des Rechtsschutzes bei Ehrverletzungen

Amr Abdelaziz – Rechtsanwalt und Fachanwalt SAV Strafrecht

Ehrverletzungsfälle waren bei den Strafverfolgungsbehörden nie besonders beliebt. Obwohl sie im Gesetz als Vergehen klassifiziert sind, werden sie von Polizisten und Staats­anwälten häufig als Bagatell­delikte wahrgenommen. Hinzu kommt, dass den Opfern oft das Rechtsschutzinteresse abgesprochen wird. In seiner letzten Botschaft zur Ände­rung der Strafprozessordnung formulierte es der Bundesrat so, «dass bei solchen Delikten der Antrieb für eine Anzei­ge oftmals eher im Wunsch nach persönlicher Vergeltung liegt als in der Tatsache einer Rechtsgutverletzung». 

Vor diesem Hintergrund trat letztes Jahr Artikel 303a StPO in Kraft. Die Bestimmung bezweckt, die Staatsanwalt­schaften von den als lästig empfundenen Ehrverletzungs­verfahren zu entlasten. Konkret kann die Staatsanwaltschaft den Antragsteller auffordern, «für allfällige Kosten und Ent­schädigungen eine Sicherheit zu leisten». Wird die Sicher­heitsleistung nicht bezahlt, gilt  der Strafantrag als zurückge­zogen, und der Fall wird ohne materielle Beurteilung erledigt.

Obwohl es sich um eine Kann­Bestimmung handelt, werden offenbar in fast allen Kantonen systematisch Sicher­heitsleistungen eingefordert. Es gibt Ausnahmen: Im Aargau werden keine Kautionen verlangt, und in Basel­Stadt müssen kantonale Beamte keine Vorauskasse leisten. Die Vorschüsse betragen mindestens 500 Franken im Kanton St. Gallen und in der Regel 2100 Franken im Kanton Zürich. Auffallend ist zudem, dass jedenfalls in Zürich die Antragsteller nicht informiert werden, dass sie im Normal­fall am Ende des Verfahrens das Geld zurückerhalten, und zwar selbst dann, wenn sie in der Sache unterliegen.

Das konsequente Einfor­dern von Kautionen und die unvollständige Belehrung darüber sorgen dafür, dass Artikel 303a StPO seinen Zweck erfüllt. Die Sicherheit wird schätzungs weise in der Hälfte der Fälle nicht geleistet, womit in diesen Fällen nicht einmal eine summarische Rechtsprechung erfolgt.

Rechtspolitisch ist dies pro­blematisch. Social media hat die Quantität und die schäd­liche Wirkung von Ehrver­letzungen massiv erhöht. Der starke Anstieg der Fallzahlen reflektiert in diesem Kontext primär das steigende Bedürfnis der Opfer nach Schutz und Wiederherstellung ihrer Ehre und nicht den «Wunsch nach persönlicher Vergeltung».

Es ist legitim und sinnvoll, dass die Behörden nach Wegen suchen, ihre Arbeitslast zu  reduzieren. Dies sollte aber nicht auf Kosten von Opfern von Ehrverletzungen gesche­hen. Die Zivilprozessordnung wurde neulich revidiert, um den Bürgern den Zugang zum Recht zu erleichtern. In diesem Sinn sind die Staats­anwaltschaften aufgefordert, die unfaire Praxis von Artikel 303a StPO zu beenden. In der Schweiz ist die Ehre aller Bürger schützenswert, nicht nur die Ehre der Wohlhaben­den, der Aargauer und der Basler Kantonsangestellten. 

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